von Dr. Nima Pegemanyfar, Executive Vice President Customer Operations
Trotz eines ungebrochen hohen Marktpotenzials für Wasserstofftechnologien – insbesondere in industriellen Anwendungen – bleibt der erhoffte Durchbruch bislang aus. Laut dem aktuellen Wasserstoff-Sentiment-Index 2025 des Instituts für Innovation und Technik (iit) bewerten 70 Prozent der befragten Expert:innen das Potenzial von Wasserstoff in Deutschland als hoch oder sehr hoch. Doch gleichzeitig fällt die Einschätzung der politischen und regulatorischen Rahmenbedingungen ernüchternd aus: Mit einem Wert von nur 42,1 Punkten auf einer Skala von 0 bis 100 liegt der entsprechende Teilindex deutlich im negativen Bereich.
Diese Diskrepanz zwischen technologischem Optimismus und institutioneller Realität ist symptomatisch für den aktuellen Stand des Wasserstoffhochlaufs. Während die Industrie bereit ist, in großem Maßstab zu investieren, fehlen verlässliche Abnahmeverträge, klare Fördermechanismen und eine koordinierte Infrastrukturplanung. Der folgende Beitrag beleuchtet, welche konkreten Erfolgsfaktoren jetzt entscheidend sind, um den Markthochlauf aus der Stagnation zu befreien – und welche Rolle Politik, Wirtschaft und Technologie dabei spielen müssen.
Realitätscheck für grünen Wasserstoff als Zukunftslösung
Als umweltfreundliche Alternative zu fossilen Treibstoffen löste grüner Wasserstoff Anfang 2019 weltweit einen breiten Enthusiasmus aus, der mehrere Jahre andauerte. Unternehmensberater, Verbände und auch die Wirtschaft identifizierten grünen Wassersoff als das Allheilmittel der Dekarbonisierung für alle Sektoren. Gestützt wurde dies durch die Erwartung, dass wir bis 2030 schnell einen wettbewerbsfähigen Preis für Wasserstoff von etwa zwei Euro pro Kilogramm erreichen. Viele Nationen setzten sich ehrgeizige Ziele für die Einführung und Produktion von Wasserstoff und prognostizierten bis 2030 eine installierte Kapazität von über 260 Gigawatt. Tatsächlich liegt heute, im Jahr 2025, die installierte Kapazität weltweit immer noch bei weniger als zwei Gigawatt.
Seit 2023 macht sich zunehmend Zurückhaltung breit. Anwendungen für Wasserstoff werden stärker nach ihrer Eignung für spezielle Einsatzszenarien beurteilt und entsprechend selektiver priorisiert. Ein besseres Verständnis zuvor nicht erkannter Kostenelemente in Wasserstoffprojekten, sowie Inflation und steigende Zinssätze, stellen bisherige Geschäftsmodelle auf die Probe. Das führte unter anderem zur Einstellung von Projekten im Umfang von rund drei Gigawatt, obwohl diese bereits gestartet waren.
Als Ursachen für diese Entwicklung sehen wir im Wesentlichen zwei Faktoren: Das Fehlen fester Abnahmevereinbarungen sowie unterschätze Kosten und Projektkomplexität. Zwar befinden sich weiterhin zahlreiche Projekte in Fertigstellung, diese verzögern sich aber im Durchschnitt um etwa zwei Jahre. Grund dafür sind oft Verspätungen bei der Projektausführung, der Finanzierung oder eine abwartende Haltung aufgrund unvorteilhafter Marktbedingungen. Anders als in den Vorhersagen der nationalen und internationalen Wasserstoff-Strategien, schätzen aktuelle Prognosen die installierte Kapazität bis 2030 weltweit auf etwa 50 GW.
Status Quo des industriellen Wasserstoffhochlaufs
Obwohl die Realität bisher hinter den Erwartungen zurückbleibt, gibt es bereits wichtige Schritte hin zur industriellen Skalierung der Wasserstoffwirtschaft. 2023 gingen beispielsweise Aufträge im Umfang von mehr als sechs Gigawatt an Elektrolyseurhersteller außerhalb Chinas. Im Vergleich waren es 2020 noch weniger als 100 Megawatt. Zudem sind Projekte in Sektoren, die sich besonders für die Anwendung von grünem Wasserstoff eignen, wie etwa Raffinerien, Stahl, Ammoniak und Methanol, vom Pilotstadium zu Großprojekten mit teilweise mehr als 100 Megawatt Volumen übergegangen.
Erhebliche Fortschritte konnten auch bei der Umsetzung von Projekten erzielt werden: Bis 2024 wurden weltweit rund zwei Gigawatt installiert. Andererseits ist die Branche nun gezwungen, sich an die veränderten Realitäten anzupassen. Daher mussten viele Elektrolyseur-OEMs im Laufe der vergangenen sechs Monate schwierige Entscheidungen treffen. Die Auswirkungen sind weithin spürbar – von großen etablierten Akteuren aus der Öl- und Gasindustrie, die ihre Ziele für den Einsatz von grünem Wasserstoff reduzieren haben, bis zu insolventen Projektentwicklern.
Hürden und Ansatzpunkte für den Markthochlauf
Die Komplexität beim Aufbau einer funktionierenden Wasserstoffwirtschaft ist enorm, da die gesamte Wertschöpfungskette parallel koordiniert und entwickelt werden muss. Dies umfasst die Produktion, die gesamte Infrastruktur und auch die Nachfrageseite.
Ein entscheidender Faktor sind stets die Kosten von grünem Wasserstoff im Vergleich zu bestehenden Alternativen. Um einen wettbewerbsfähigen H2-Preis zu erreichen, ist jedoch ein rascher Hochlauf entscheidend – denn nur dann gewinnt man die notwendigen Erfahrungen in der praktischen Umsetzung. Aus unserer Sicht ist hierfür unbedingt ein unterstützender regulatorischer Rahmen in den Bereichen Produktion, Infrastruktur und Abnahme notwendig. Die Industrie wird in naher Zukunft weiterhin auf eine Vielzahl von Finanzierungsmechanismen angewiesen sein. Es gibt bereits zahlreiche Programme in Bezug auf die Produktionsseite, wie die Europäische Wasserstoffbank für Projekte in Europa, H2Global für Projekte außerhalb Europas, die Wasserstoff und Derivate an europäische Endkunden liefern, sowie zahlreiche nationale Programme.
Eine entscheidende Voraussetzung für die flächendeckende Nutzung von grünem Wasserstoff wird eine funktionierende Wasserstoffinfrastruktur für günstige Produktions- und Importstandorte mit bestehenden Abnehmern sein. Ohne Wasserstoff-Kernnetz wird der Markthochlauf nicht umsetzbar. Deshalb ist es essenziell, dass die Länder ihre Pläne für nationale und internationale Pipelines umsetzen.
Fast ein Drittel der vorgeschlagenen Kernnetzpipelines in Deutschland haben bislang noch keinen Entwickler. Auch bei Pipelines in den Niederlanden und bei der Verbindung zwischen Dänemark und Deutschland ist es zu Verzögerungen gekommen. Solche Entwicklungen verringern die Planungssicherheit sowohl auf Seite der Produzent als auch auf der der Abnehmer.
Wie kann also die Abnahme gesteigert werden?
In erste Linie muss die Kostendifferenz zwischen den Produktionskosten und einem möglichem Abnahmepreis verringert werden. Außerdem braucht es eine planbare Nachfrage, beispielsweise durch die Einführung von EU-Quoten (in Bereichen wie der Schifffahrt und des Flugverkehrs). Diese ermöglichen einen wirtschaftlicheren Ausbau der Infrastruktur durch bessere Prognostizierbarkeit. Insbesondere eine zweckmäßige Implementierung von RED III (Renewable Energy Directive III) auf nationaler Ebene wird das Volumenrisiko deutlich verringern. Diese EU-Richtlinie sieht vor bis 2030 mindestens 42,5 % ihres Energieverbrauchs aus erneuerbaren Quellen zu decken und beinhaltet verbindliche Unterziele für RNFBOs (Renewable Fuels of Non-Biological Origin) in den Sektoren Verkehr und Industrie.
Förderung eines schnellen Wasserstoff-Hochlaufs
Ein wichtiger Hebel zur Förderung eines raschen H2-Hochlaufs ist die Entwicklung standardisierter und modularisierter Anlagenkonzepte mit einem hohen Grad an industrieller Vorfertigung. Quest One arbeitet gemeinsam mit Everllence und dessen umfassender EPC-Kompetenz an Referenzdesigns für industrielle Komplettlösungen. Auf diese Weise können Komplexität, Projektrisiken und Kosten so weit wie möglich reduziert werden.
Ein weiterer Faktor ist es, die Elektrolyseur-Lösungen für mögliche Kunden greifbarer zu machen und ihnen so den Umstieg zu erleichtern. Mit dem Bau einer Demonstrationsanlage auf Basis des Großelektrolyseurs MHP zusammen mit Everllence in Augsburg hat Quest One einen wichtigen Meilenstein gesetzt. Die Anlage ermöglicht es potenziellen Kunden, Planern und Projektierern, eine Vorstellung von wichtigen Parametern wie Bauphasen, Dimensionen, Innenleben und der Infrastruktur zu erhalten. Zudem dient sie auch zu intensiven Tests, dem Sammeln realer Betriebsdaten und der Schulung von Personal. Die Demonstrationsanlage ist außerdem ein wichtiges Instrument, um die Leistungs- und Betriebsparameter für industrielle Lösungen weiter zu optimieren.

Dr. Nima Pegemanyfar, EVP Customer Operations, Quest One
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